Es wurde dunkel über Stockholm …

07. April 2017

Es wurde dunkel über Stockholm. Die Sonne bekam plötzlich einen grauen Schleier übergezogen. 13.40 Uhr ging ich mit einer Freundin die Drottningsgatan in Stockholm Richtung Adolfs Fredriks kyrkogata. Wir waren auf der suche nach einem gemütlichem Cafe, ruhig genug um ein wenig abzuschalten, sich in träumen zu verlieren, Zeit mal anders zu verbringen als alltäglich. Wir fanden unser Cafe. Muffin Bakery war ein ruhig gelegenes Cafe am Ende der Einkaufstrasse der besagten Drottningsgatan. Wir hatten einen schönen Platz und ich konnte von diesem Platz, aus dem großen Cafefenster, in die Seitenstrasse der Adolf Frederiks kyrkogata blicken. 14.50 Uhr sah ich plötzlich wie ein LKW in der Adolf Frederiks kyrkogata losfuhr, mein Blick erschrocken. Ich fragte mich laut wieso dieser LKW mit so hoher Geschwindigkeit von der kleinen Seitenstrasse in die Kurve fährt. Ich sah die Ladefläche vibrieren und dachte, dass kann nicht gut gehen. Dannach sah ich zwei erstaunde Männer auf der anderen Seite des Fensters und ihre Blicke in Richtung Drottningsgatan und dann hörte ich einen Knall und Scheiben klirren. Ich sprang auf, wieder hörte ich mich sagen das dieser  LKW viel zu schnell war. Dann sprang ich raus auf die Straße. Zwei Menschen lagen da! Plötzlich war es Wirklichkeit, denn dieser Blick auf die Drottningsgatan zeigt mir, das das kein betrunkener Lkw fahrer war. Mir war bewusst das es sich um das gleiche Prinzip eines Attentats handelt wie wir schon so oft aus den Nachrichten gehört haben. Panische Menschen schrien, geschockte Menschen blieben stehen und anderen wie mir schossen Tränen in die Augen. Jeder nahm diese Situation unterschiedlich war und keiner wusste wo hin mit den aufkommenden Gefühlen. Eine Frau rief das ein Bombe explodieren soll und schrie und alle Menschen sprangen unkontrolliert in alle Richtungen, auch wir, und wiederum andere versuchten die Schwerverletzten wegzuziehen. Nichts passierte, keine Bombe. Eine Person von den Schwerverletzten blutete unglaublich viel. Und ungefähr gegen 15 Uhr war auch schon die Ambulanz vor Ort. Das ging alles so unglaublich schnell. Dannach wollte ich nur weg und bevor wir den Platz des Geschehens verließen, sah ich den leeren Blick dieser schwerverletzten Frau. Ich kann mich nicht erinnern was sie trug, aber dieser starre Blick in die Leere unter ihren grossen zerbrochenen Brillengläsern lässt mich das Geschehene nicht vergessen. Sie war nicht Jung und nicht Alt eine Frau in der Blüte ihres Lebens. Ich weis nicht wie es ihr jetzt geht, ob sie eines der Todesopfer wurde, aber eines weis ich nach diesem Tag: Der Tod lauert überall!

Das Skurrile an der Entscheidung den Ort des Geschehens zu verlassen war, dass wir entschieden das der sicherste Weg der Weg Richtung LKW sein könnte. Ich wusste der LKW-Fahrer würde nicht zurückkommen. Dennoch wussten wir bis zu diesem Zeitpunkt nicht wo der LKW zum stehen kam. Auf dem Weg raus aus dem Chaos sahen wir noch einige Verletzte die gut versorgt waren. Immer wieder schrien Menschen und immer wieder wurden wir durch ein Labyrinth getrieben, bis wir es endlich aus dem Unglücksfeld geschafft hatten. Alle waren Panisch keiner wusste so richtig was zu machen ist.

Wir erreichten 15.30 Uhr die Oper. Eigendlich sollten wir an diesem Tag die Urpremiere „Drömmen om Svansjön“ haben. Die Premiere wurde abgesagt. Alle großen Auftritte wurden in Central Stockholm abgesagt, Kinos und öffentliche Gebäude wurden geschlossen, keine Züge, Busse oder U-Bahnen wurden bewegt. Die schwedische Flagge hing auf Halbmast und die Stadt lag still. Lag so viel Schrecken in der Luft. Gegen 17.30 Uhr verließ ich die Oper und lief Richtung Süd-Stockholm. Es waren unglaublich viele Menschen zu Fuss unterwegs. Diese Massen machten mir plötzlich Angst. Es schien alles unsicher um mich herum. Auf diesem Weg nach Hause machte ich das Foto vom Hafen da es genau die Stimmung wiedergab. Eine graue Wolke die langsam Licht in das Dunkel zulässt um wieder in die Normalität zurückzufinden. Gegen 20 Uhr habe ich mein zu Hause erreicht. Die Kinder waren kurz vorm schlafen. Endlich war ich wieder bei meiner Familie. Ich habe mich zu meinen Kindern und meinem Schatz gelegt und mich an sie gekuschelt, weil es genau das war nachdem ich mich die Stunden zuvor gesehnt hatte und was mir Kraft gab und gibt all das Gesehene und Geschehene  zu verarbeiten.

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Take care!

Vivo

6 thoughts on “Es wurde dunkel über Stockholm …

  1. Deine Schwester

    Meine Virgi,
    Was fuer ein furchtbares Ereignis.
    Ich bin froh das es dir körperlich gut geht und ich drücke dich gedanklich an mein Herz fuer deinen seelischen Schmerz.
    Nachdem ich deine Zeitangaben hier las, musst ich echt auf mein Telefon schauen. An dem Tag als das Attentat geschah, habe ich nämlich zur gleichen Zeit als du in dem Cafe gesessen und den LKW losfahren sehen hast, mit Mutti telefoniert. Wir sprachen über meine Wanderung durch Kanada und sie erwähnte das du dir um mich Sorgen machst. Am selben Nachmittag schrieb sie mir, dass du dich in der Nähe des Attentats aufgehalten hast. Ich war schockiert. Das es jedoch so unglaublich nah war, lerne ich erst jetzt durch deinen Bericht.
    Wie relativ doch die Sicherheit ist, in der wir uns wähnen.
    Wir alle machen eine lange Wanderung durch unser Leben. Ein Stueck des meinen gehe ich auf dem Trans-Kanada-Trail, du deines derzeit in der Stadt Stockholm. Können wir sagen, das die Stadt uns wirklich mehr Sicherheit gibt als die Natur da draußen? Wie schnell doch ein Moment der Unaufmerksamkeit uns das Leben kosten könnte. Die Gefahr in der Stadt ist in dieser Hinsicht sicherlich eine andere, aber sie ist nicht weniger. Wo ich den Elementen trotze, kaempfst du dich durch den Verkehr. Wo ich von einem wilden Tier attackiert werden könnte, setzt sich bei dir ein LKW in Bewegung und nimmt zu schnell Fahrt auf – beide mit dem Vorsatz zu töten.
    Du hast genau das Richtige getan, deine Nerven zu behalten und dich in die entgegensetzende Richtung zu entfernen und darüber bin ich sehr froh. Genau das ist auch die Regel im Wald.
    Bleib‘ wachsam mein Schwesterchen. Ich verspreche dir, ich werde es auch sein.
    Ich lieb‘ dich, deine Mel

    1. Vivo la vita

      Liebste Mel, ich weiß das sich gewisse Sorgen nicht erklären lassen, aber du sollst wissen das ich in dieser unglaublichen Situation gemerkt habe wie sehr wir Menschen danach bedacht sind zu helfen. Diesmal war ich nicht allein, aber auch wenn ich allein gewesen wäre hätte die Stadt Stockholm mich aufgefangen. Es gab so viele Helfer und Menschen die einen klaren Kopf bewahrten, die den Krankenwagen gerufen haben und die sich um die Menschen gekümmert die psychologische Stärkung brauchten, wäre ich in der Natur gewesen hätte es diese Hilfe nicht gegeben und der Schmerz, nicht auszudenken wie dass auszuhalten wäre. Du hast recht wenn du sagst das die Gefahren überall lauern, auch da wo wir uns in Sicherheit wiegen. Deshalb wirst du die Richtige Entscheidung gefällt haben. Ich danke dir für deine lieben Worte. In Liebe deine Schwester Vivo

  2. Rivo

    Es ist so furchtbar was immer wieder passiert. Ich bin so froh das es dir gut geht – und ich hoffe auch das es den Verletzten gut geht. Natürlich muss man erst mal den Schock überwältigen, wer rechnet schon damit das man einen Terroranschlag selbst so nah mit erlebt. Wenn du das jetzt so alles im Detail beschreibst weiß man erst was man selbst für ein Glück hatte. Auf alle Fälle werden wir uns nicht einschüchtern lassen von diesen Attentätern die nur Terror, Angst und Gewalt verbreiten wollen. Bleib gesund in Liebe Rivo

    1. Vivo la vita

      Danke meine Liebste Mama! Ich bin auch froh das ich unbeschadet davon gekommen bin. Es wird sicher noch eine Weile bis ich es verdränge und in meine Erinnerungsbewusstsein ablege, doch momentan ist es noch sehr präsent. Dieser Blumenregen am Platz des Geschehens. Ich glaube solange diese Blumen daliegen werde ich bewusst diesen Weg gehen. Es zeigt mir das ich nicht allein bin mit meinem Gefühlen und den Momenten an denen dir einfach so Tränen in die Augen steigen um das unfassbare zu begreifen. In Liebe Vivo

  3. Geli Franke

    Liebe Virgi, erst heute als ich deinen Bericht gelesen habe, erfuhr ich was wieder für furchtbare Dinge, nun auch in Schweden geschehen sind. An diesem Tag lag ich im Krankenhaus in tiefster Narkose und hatte vorher den da oben, wenn es ihn gibt, um Hilfe gebeten. Jetzt geht es mir wieder einigermaßen. Aber diese sinnlosen Attentate müssen einfach aufhören. Es ist mit normalen Menschenverstand nicht zu begreifen. Wenn wir aber unsere Gefühlswelt nur noch auf Angst und Vorsicht aufbauen, durchleben, haben diese Verbrecher ihr Ziel erreicht. Das darf nicht passieren. Ich bin froh das dir nichts passiert ist, du deine Familie hast und dort auch Trost finden kannst. Mit allen guten Gedanken. Geli

    1. Vivo la vita

      Hallo meine liebe Geli und danke für deine lieben Worte, der grösste Schreck ist überwunden und die LKWs haben mehr Respekt bekommen. Ich hoffe dir geht es wieder gut und du bist wieder auf den Beinen. Ich freu mich immer von dir zu hören. Fühl dich umarmt und gute Besserung Vivo

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